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Globuli: Wie ein einziger Tropfen im Atlantik

Homöopathie – Die deutsche Ärztin Natalie Grams war überzeugte Homöopathin, heute tritt sie dagegen auf. Ein Interview über Fakten und Mythen der viel beschworenen Kügelchen.

Globuli „Arnica montana“. Gern verwendetes homöopathisches Arzneimittel. Seine Potenzierung: D30. Das bedeutet: Eine Substanz wird im Verhältnis 1:10 verdünnt. Ein Tropfen davon wird mit neun Tropfen Lösungsmittel weiterverdünnt. Und weiter und weiter. Dieses Prozedere wird viele Male wiederholt. Heraus kommt eine Verdünnung im Verhältnis von 1:1000000000000000000000000000000 (1:1030). Diese Lösung wird auf Zuckerkügelchen aufgesprüht. Die Globuli sind fertig. Ein Fläschchen mit acht Gramm kostet 8,45 Euro.

Besagte Verdünnung entspricht etwa einem Tropfen im Volumen des Atlantik. Auf dieser Verdünnung bei gleichzeitiger sogenannter „Dynamisierung“ – das ist das Schütteln der Flüssigkeit mit einer festgelegten Zahl von Schlägen – gründet die Methode der Homöo-
pathie, eingeführt von Samuel Hahnemann vor 200 Jahren.

Frau Grams, warum haben Sie sich von der Homöopathie abgewandt?

GRAMS: Eigentlich wollte ich ein Buch schreiben, das Kritiker von der Homöopathie überzeugt. Bei meiner Recherche wurde mir aber bewusst, dass das, was ich glaubte, das Homöopathie bewirken kann, nicht stimmt. Die Effekte, wonach es Menschen nach einer homöopathischen Therapie besser geht, sind anders erklärbar.

Wie erklärt man sie?

GRAMS: Mit dem Placebo-, also Scheineffekt und der Selbstheilungskraft des Körpers. Viele Beschwerden, bei denen Globuli genommen werden, wie Husten, Schnupfen oder Bauchweh, vergehen von selbst wieder, weil wir ein tolles Immunsystem haben. Zusätzlich können die positiven Vorstellungen, die mit der Homöopathie mitschwingen, dazu führen, dass es einem besser geht.

Warum ist Homöopathie populär? 

GRAMS: Weil sie als Teil der Medizin gilt und weit verbreitet ist. Allerdings wollen die Menschen eigentlich eine Alternative, die wirkt. Und das tut die Homöopathie über die Scheineffekte hinaus nicht. Viele Menschen denken auch, dass Homöopathie und Naturheilkunde das Gleiche sind.

Was ist der Unterschied?

GRAMS: Pflanzen und Kräuter können auf den Körper wirken, das ist bewiesen. In der Homöopathie ist aufgrund der Verdünnung nichts mehr drin, was wirken könnte.

Viele Menschen sagen: Die Globuli haben mir aber geholfen.

GRAMS: Das ist schwierig zu entkräften. Wenn jemand diese Erfahrung gemacht hat, ist es Tatsache. Allerdings kann man die Menschen auf den Unterschied zwischen „Ich habe es genommen und danach ging es mir besser.“ und „Ich habe es genommen und dadurch ging es mir besser“ hinweisen. Bei der homöopathischen Therapie kann es einem aus den genannten Gründen danach besser gehen. Aber eine ursächliche Wirkung gibt es nicht.

Reicht der Glaube alleine nicht aus, dass etwas hilft?

GRAMS: Nein, und das ist das Fatale. Wenn eine Medizin sagt, wir machen den Glauben zur Basis der Behandlung und verpassen deswegen eine sinnvolle Therapie, dann finde ich das ein Verbrechen. Wenn man hingegen etwas wirklich Wirksames nimmt und zusätzlich daran glaubt, dann hat man die spezifische Wirkung plus Placebo.

Aber es hilft auch Kindern oder Tieren. Die können sich das doch nicht einbilden, oder?

GRAMS: Ein typischer Fehlschluss. Der Placebo-Effekt hat nichts mit Einbildung zu tun. Das funktioniert unbewusst. Kinder und Tiere haben ganz feine Antennen zu ihrer Bezugsperson. Das ist der „placebo by proxy“-Effekt, eine Wirkung über einen Überträger.

Hilft‘s nichts, so schadet‘s nicht. Würden Sie das unterschreiben?

GRAMS: Nein, gar nicht. In den Globuli ist zwar nichts drinnen, was dem Körper direkt schaden könnte. Der Schaden durch Homöopathie ist aber, sosehr daran zu glauben, dass man zu lange für eine wirklich sinnvolle Therapie zuwartet. Und es schadet auch finanziell, weil es viel Geld kostet.

Würden Sie der Homöopathie irgendeinen Nutzen zuschreiben?

GRAMS: Wenn eine junge Familie glaubt, „es tut uns einfach gut, wenn wir dem Kind statt einem Trostpflaster ein paar Arnika-Globuli geben“, dann ist das in Ordnung. Das ist ein schöner Familien-Placebo-Effekt. Krankenkassen sollen aber nicht dafür bezahlen und Ärzte sollen es nicht anbieten. Sie haben Verpflichtungen gegenüber Patienten, keine unlauteren Heilsversprechen zu machen. In einer Art „Privatglaubensrichtung“ kann die Homöopathie Bestand haben, als Teil der Medizin sicher nicht.

Konsumentenzeitung, 20.03.2018

Bildquellen

  • Globuli: Fotolia - Gina Sanders