Genau geschaut

Kann denn Fleisch vegan sein?

Grundsätzlich liebt der Österreicher ja sein Schnitzel. Fleisch kommt beinahe täglich auf den Tisch. Gleichzeitig wollen aber immer mehr Menschen ihren Fleischkonsum verringern. „Dann könnten sie ja auf Gemüsestrudel und Grünkernlaibchen umsteigen“, möchte man meinen. Tun sie aber nicht. Die hauptsächliche Zielgruppe für Fleischimitate sind paradoxerweise die Fleischesser und nicht die Vegetarier oder Veganer. Flexitarier nennt sich diese Gruppe – sie essen Fleisch, aber nicht so oft. Die Alternative suchen sie in Produkten, die aussehen wie Fleisch und entfernt so schmecken, aber eben kein Fleisch sind.   „Wer sich schwer tut, auf Fleisch zu verzichten, greift zu diesen Produkten“, erklärt es Andrea Ficala, Ernährungswissenschafterin in Wien. Die Konsumenten erwarten sich dadurch einen gesünderen, nachhaltigeren und ethisch verträglicheren Lebensstil. Aber werden diese Erwartungen auch erfüllt?

„Fleischlos alleine ist zu wenig“

Verfolgt der Konsument mit dem Konsum des Fleischersatzes das alleinige Ziel, weniger Fleisch aus Gründen des Tierschutzes zu essen, findet er darin wahrscheinlich eine Alternative. Fleisch ist in diesen Produkten tatsächlich keines enthalten. Wenn er aber gleichzeitig gesünder und ökologisch nachhaltiger leben will, muss er genauer hinschauen. „Nur weil ein Produkt fleischlos ist, muss es nicht per se ,gut‘ sein“, beschreibt es Ulrike Weiß, Leiterin der Konsumentenschutzabteilung der Arbeiterkammer Oberösterreich. Sie rät, sich die Zutatenliste genau anzusehen: „Dem Konsumenten bleibt es nicht erspart, sich zu informieren.“

Natürlich haben sich in der Vergangenheit auch bereits Konsumtests mit diesen Alternativen befasst. Im Vorjahr zum Beispiel die deutsche Stiftung Warentest und der „Ökotest“. Beide brachten ernüchternde Ergebnisse: ein hoher Salzgehalt, Einsatz von Geschmacksverstärkern und Mineralölrückstände in einigen Produkten. Von 20 getesteten Produkten hat die Stiftung Warentest nur sechs Produkte für „gut“ befunden, der „Ökotest“ von 22 Produkten gar nur ein einziges.

Sind vegane Würstl gesünder?

Der Verbraucher kann sich sein eigenes Bild aber ohnehin machen, wenn er einen Blick auf die Zutatenliste wirft. Die ist – wie generell bei verarbeiteten Produkten – lang. „Ein Problem sind die Zusatzstoffe, der hohe Salzgehalt und ein starker Verarbeitungsgrad“, sagt Andrea Ficala. Hauptzutat ist Wasser, gefolgt von Eiweißersatz (siehe Infokasten). Damit die Mischung nach Extrawurst und Schnitzel schmeckt, muss mit Lebensmitteltechnologie und Zusatzstoffen nachgeholfen werden. Emulgatoren und Verdickungsmittel für die Konsistenz, Farbstoffe, Geschmacksverstärker und sonstige Aromen für den Geschmack und Säureregulatoren sowie Konservierungsstoffe für die Haltbarkeit. Auch beim Salz wird nicht gespart. Mit 2,9 g ist bei 100 g Extrawurst mehr als die Hälfte des empfohle­nen Tages­be­darfs gedeckt. Und letztlich verspricht auch die Kalorien-
tabelle nicht unbedingt weniger Fette und Kohlenhydrate als „echtes“ Fleisch.

Die Zusatzstoffe will Otmar Höglinger, Studiengangsleiter für Lebensmitteltechnologie und Ernährung an der Fachhochschule Wels, allerdings nicht generell verteufeln. „Ein vernünftiger Einsatz hat Sinn“, sagt er. Werden Konservierungsstoffe weggelassen, könne das auch negative Auswirkungen für die Konsumenten haben – wenn verdorbene Lebensmittel etwa toxische Reaktionen auslösen. Es sei ein gefährliches Spiel, Konservierungsstoffe hysterisch abzuqualifizieren. Was vernünftig ist? „Nicht mehr als notwendig einzusetzen, um das Lebensmittel haltbar zu machen bzw. ein Geschmacksprofil zu erhalten“, so Höglinger. Geht es um die Textur – „Muss ein veganes Ersatzprodukt wie ein Schnitzel aussehen?“ –, dann bewege man sich in Richtung Unvernunft.

Ist ein Soja-Schnitzel ökologisch verträglicher?

Wendet man sich der ökologischen Frage zu, muss man die globale Ernährungssituation ansehen. Experten rechnen bis 2050 mit einer Verdoppelung des Fleischbedarfs. Zum einen weil die Weltbevölkerung wächst und zum anderen, weil in den Schwellenländern wie China oder Indien eine wohlhabendere Mittelschicht heranwächst, die mehr Fleisch konsumiert. Es entsteht damit eine Flächenkonkurrenz, weil die Umsetzung von pflanzlichem zu tierischem Protein (also die Verfütterung von Getreide an Tiere) mehr Ressourcen bindet und mehr C02-Ausstoß zur Folge hat. Das könnte „den Druck auf die Fleischproduktion erhöhen“, sagt Universitätsprofessor Martin Wagner von der Veterinärmedi­zinischen Universität. Dass Fleischersatzprodukte die Lösung sind, glaubt Wagner nicht, sie seien aber jedenfalls eine „interessante Alternative“. Generell müsse man in punkto Ressourcenverbrauch und CO2-Ausstoß aber zwischen den Tieren und eingesetzten Futtermitteln unterscheiden. Ein Wiederkäuer – also etwa Rind oder Schaf – verwerte mit der Futtergrundlage Gras oder Heu Flächen, die der Mensch nicht für seine Ernährung nutzen kann.

In Bezug auf die Ökobilanz lohnt auch bei den Ersatzprodukten ein zweiter Blick. Denn das darin enthaltene Soja wird in vielen Fällen aus Übersee importiert, was lange Transportwege und mehr CO2-Ausstoß bedeutet. Für das eingesetzte Palmöl muss erst tropischer Regenwald gerodet werden, um anschließend Ölpalmen zu pflanzen. Und ob das Hühnereiweiß von Hennen in Freiland- oder Käfighaltung, aus Österreich oder woanders herkommt, ist nicht deklariert.

Tierisch gut ohne Fleisch?

Der Lebensmittelindustrie sind all diese Bedenken ihrer Konsumenten bekannt und sie reagiert entsprechend darauf. So gibt es beispielsweise eine Fleischlos-Marke, die auf der Verpackung „ohne Soja“ oder „ohne Gluten“ auslobt. Eine andere wirbt mit „Zutaten, die man kennt“, eine weitere mit biologischer Herstellung in Österreich.

Der oberösterreichische Fleischproduzent Neuburger bietet seit vergangenem Jahr eine vegetarische Fleisch-Alternative unter der Marke „Hermann Fleischlos“ an. „Mit steigender Nachfrage“, wie die beiden Geschäftsführer Hermann Neuburger und sein Sohn Thomas sagen. Das Unterscheidungsmerkmal? „Regionalität hat bei uns einen hohen Wert. Außerdem setzen wir keine Konservierungs- und Zusatzstoffe oder Aromen ein“, so Neuburger. Die Basis sind Kräuterseitlinge, also Pilze, die auf heimischem Boden angebaut werden. Zusätzliches Eiweiß kommt vom Bio-Hühnerei und Reis aus Norditalien. „Außerdem schmeckt es gut“, sagt Neuburger, was ihn ebenso vom Mitbewerber abhebe. Aussehen und Name? Wie ein „Rostbratwürstchen“, nur eben ohne Fleisch. „Der Österreicher ist ein konservativer, gelernter Esser“, sagt Neuburger dazu, „die gewöhnte Form bedeutet für ihn weniger Umstellung.“

Was bleibt von der Diskussion?

Dass der Fleischkonsum pro Kopf in Österreich über den Empfehlungen liegt, ist bekannt. Ob Fleischersatzprodukte die Lösung sind, muss jeder für sich selbst beantworten. Fest steht: Sie werden angeboten und gekauft. Ob sich die Imitate aus der Nische heraus entwickeln, bleibt abzuwarten.

„Wie man sich ernährt, bleibt jedem Konsumenten selbst überlassen“, sagt Agrar- und Ernährungslandesrat Max Hiegelsberger. Ob dem Verbraucher Herkunft, Inhaltsstoffe oder ökologischer Fußabdruck wichtig sind, entscheide er bei jedem Griff ins Regal. „Fest steht aber auch“, so Hiegelsberger, „Regionalität garantiert Qualität und Sicherheit. Und: Es geht um Wertschätzung. Vielfach haben die Menschen den Bezug zur Nahrung verloren. Initiativen wie das Genussland und die vie-len Direktvermarkter fördern diesen Bezug.“

Die Wertschätzung ist auch für Universitätsprofessor Martin Wagner ein wichtiger Punkt. „Wenn man die Kreisläufe und das komplexe System der Nahrungserzeugung versteht, schätzt man das Lebensmittel mehr“, sagt er und ergänzt, „der Braten auf dem Tisch war früher etwas Besonderes.“ Der mit Fleisch wohlgemerkt.

Konsumentenzeitung, 28.11.2017

Bildquellen

  • Vegane Wurst: LustaufsLand/Fleischanderl