Essiggurkerl in Gefahr
Ein Store-Check zeigt: Nur noch jedes vierte Gurkerl kommt nachweislich aus Österreich. Lust aufs Land hat genau geschaut, warum es kaum noch deklarierte heimische Ware im Regal gibt.
In Wurstsemmeln, zur Jause oder in Speisen wie Rindsrouladen sind Essiggurkerl für viele einfach nicht wegzudenken. Pro Jahr werden hierzulande im Schnitt 1,3 Kilo des süßsauren Gemüses gegessen. Allerdings stammt der Großteil der Gurken selbst nicht aus der Alpenrepublik, wie ein aktueller Store-Check des Österreichischen Branchenverbands für Obst und Gemüse (ÖBOG) zeigt. Dabei wurden 92 verschiedene Produkte genauer unter die Lupe genommen. Das Ergebnis ist ernüchternd: Lediglich jedes vierte Essiggurkerl (26 %) wurde nachweislich in Österreich produziert. Bei zwei Drittel (66 %) der überprüften Gläser fehlte die Angabe zur Herkunft komplett. Bei den restlichen Artikeln wurde die Herkunft mit Deutschland (5 %), EU (2 %) sowie EU/Nicht-EU-Landwirtschaft (1 %) angegeben.
Bei dem Store-Check seien allerdings nur die sichtbaren Stück an Produkten im Regal abgezählt und prozentuell ausgewertet worden. Aus einer aktuellen Analyse des Marktforschungsunternehmens Nielsen, bei der die exakten Umsätze und Absatzmengen erhoben wurden, lasse sich Folgendes ableiten: Neben den 26 Prozent nachvollziehbarer österreichischer Herkunft „verstecken“ sich noch circa weitere 24 Prozent österreichische Gurkerl hinter den immer häufiger gekauften Eigenmarken der Supermarktketten. Der Branchenverband fordert daher eine eindeutige Herkunftskennzeichnung bei verarbeitetem Gemüse: Ansonsten drohe der Eigenversorgungsgrad weiter zu sinken und es müssten noch mehr Gurkerl importiert werden, die unter schlechteren Standards erzeugt worden sind.
Essiggurkerl: Symbol für Herausforderungen im Gemüsebau
Neun von zehn heimischen Essiggurken werden in Oberösterreich geerntet. Das Eferdinger Becken ist das Zentrum der Gurkerlproduktion, doch die Anzahl der Betriebe sowie die Fläche hat in den vergangenen Jahren stetig abgenommen. Heuer produzieren im Land ob der Enns nur noch zwölf Betriebe auf einer Fläche von 123 Hektar diese (hand)arbeitsintensive Kultur.
Das Essiggurkerl stehe dabei aber lediglich als Symbol für die mannigfaltigen Herausfoderungen der Branche. Denn der Rückgang betreffe nicht nur eines der beliebtesten Sauergemüse der Österreicher, sondern die gesamte Gemüseproduktion. Die Gründe dafür seien vielfältig: „Neben den gesetzlich strengeren Regelungen in der Produktion und den nachteilig kleinen Strukturen im Vergleich zu den großen EU-Gemüseproduktionsländern wie Spanien, Frankreich, Italien, Polen oder Deutschland sind es vor allem die hohen Lohn- und Lohnnebenkosten sowie Nachteile bei der Zulassung von dringend notwendigen Pflanzenschutzmitteln, welche den Betrieben aufgebürdet werden“, erklärt Franz Waldenberger, Präsident der Landwirtschaftskammer Oberösterreich.
Der Store-Check zeigt: Bei Essiggurkerln ist die Herkunft oft ungewiss. Die „Gurkerlflieger“, die über die Felder im Eferdinger Becken schweben, könnten so bald Geschichte sein.
Während in Deutschland der Mindestlohn für Saisonarbeiter 12,4 Euro pro Stunde im sogenannten „70-Tage-Modell“ ohne Sozial- und Lohnnebenkostenverpflichtung bzw. auch ohne Urlaubs- und Weihnachtsgeld beträgt, liegt der Nettolohn dagegen in Österreich bei 8,4 Euro pro Stunde – das bedeute ein Drittel mehr Nettolohn oder vier Euro mehr pro Arbeitsstunde für die Saisonkräfte in Deutschland. Für die Arbeitgeber erwachsen hierzulande hingegen Gesamtbruttokosten pro Arbeitsstunde von 17,2 Euro, was gegenüber den deutschen Arbeitgebern Mehrkosten von 4,8 Euro pro Stunde ausmacht. Umgerechnet auf ein Hektar Einlegegurken mit einem Arbeitskraftbedarf von circa 3000 Stunden pro Hektar bedeutet dies einen Kostennachteil von ungefähr 15.000 Euro pro Hektar. „Durch den verlockend höherenNettolohn wandern viele Stammarbeitskräfte nach Deutschland ab. Nicht wenige Betriebe leisten deswegen freiwillige Mehrzahlungen, um ihr Personal halten zu können. Diese Kosten können dann wiederum nicht in den Produktpreis eingerechnet werden“, erklärt Ewald Mayr, Obmann der oö. Gemüse-, Erdäpfel- und Obstbauern, das Dilemma.
Jausenradi: Letzter Landwirt wirft das Handtuch
Ein weiterer Wettbewerbsnachteil ist wie man am jüngsten Beispiel Bierrettich sehen kann die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln. So wurde im Herbst 2023 das Unkrautbekämpfungsmittel „Butisan“ EU-weit verboten. In Deutschland ist die Ausbringung des Mittels allerdings nach „einzelbetrieblicher Genehmigung“ weiter erlaubt. Da Österreich diese Möglichkeit nicht hat, musste kürzlich der letzte verbliebene Rettichanbauer nach 47 Jahren das Handtuch werfen. „Wir fordern die heimische Politik dringend dazu auf hier entweder Waffengleichheit zu schaffen oder dafür zu sorgen, dass die Produkte mit in Österreich verbotenen, aber in der EU erlaubten Wirkstoffen nicht importiert werden dürfen“, so Mayr.
Die Aufrechterhaltung der heimischen Produktion ist auch für Österreichs größten Sauergemüsehersteller von immenser Bedeutung: „Es ist uns ein wichtiges Anliegen, auch in Zukunft die Vermarktung von heimischem Gemüse zu fördern und sicherzustellen. Ein Schulterschluss zwischen Produzenten, Industrie, Handel und Konsumenten ist gefordert, um die Produktion von qualitativ hochwertigem Gemüse aus Österreich garantieren zu können. Alle Stakeholder entlang der Wertschöpfungskette müssen angemessene Preise bekommen und die Konsumenten müssen auch bereit sein, für regional produzierte Lebensmittel zu bezahlen“, so efko-Geschäftsführer Thomas Krahofer.
Produktion in OÖ
Geschichtlich gesehen werden die „Umurken“ im Eferdinger Becken erstmals bereits im 18. Jahrhundert nachweislich erwähnt. Ihr unaufhaltsamer Aufstieg ist in Oberösterreich aber mit der Gründung der Firma efko im Jahr 1941 eng verbunden. Wurde das Gurkerl bis Ende der 1980er-Jahre fast ausschließlich auf Kleinstflächen kultiviert und ohne „Flieger“ geerntet, so sind es heute nur noch zwölf Betriebe, welche eines der beliebtesten Sauergemüse Österreichs herstellen.
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- DSC_9185: LKOÖ/HAMEDINGER