Sich auf den Weg machen
Beim Gehen Orientierung finden für das eigene Leben: Pilgern liegt im Trend und Oberösterreich bietet eine reiche Auswahl an Möglichkeiten dafür.
Was das Herz berührt, setzt die Füße in Bewegung“ lautet ein Sprichwort, das vielen Pilgern schon einmal untergekommen ist. Das Ganze funktioniert auch umgekehrt: „Wenn sich die Füße in Gang setzen, kommt auch vieles andere in Bewegung“, sagt Christine Dittlbacher, die als Pilgerbegleiterin aktiv ist, spirituelle Theologie studiert hat und sich seit mehr als 30 Jahren mit dem Thema Pilgern befasst. Im Gegensatz zur Wallfahrt, bei der das Ziel eine wesentliche Rolle spielt und die auch von Traditionen und dem gemeinsamen Beten zu einer oder einem bestimmten Heiligen gekennzeichnet ist, gilt beim Pilgern vielmehr das alte, dem chinesischen Philosophen Konfuzius zugeordnete Zitat „Der Weg ist das Ziel“. Beim Pilgern sei der Anlass stets ein innerer, betont die Expertin: Die Suche nach Sinn und Orientierung im Leben, nach einer „Quelle“, aus der man für sein Alltags- und Berufsleben schöpfen kann oder um einfach wieder zu spüren, was im eigenen Leben wesentlich ist. Das Unterwegssein bringt wertvolle Erfahrungen mit sich, man entschleunigt und kann die innere Stimme wieder hören.
„Oft sind es sogenannte Lebenswenden, die Menschen dazu bringen,
Andrea Reisinger
sich auf den Weg zu machen.“
Das bestätigt auch Andrea Reisinger, Referentin für Pilgern und Pilgerbegleitung der Diözese Linz. „Oft sind es sogenannte Lebenswenden, die Menschen dazu bringen, sich auf den Weg zu machen. Das kann eine Trennung sein, die anstehende Pensionierung, ein Jobwechsel oder das Loslassen seiner Kinder. Aber auch der Wunsch nach einer Auszeit kann ein Motiv für eine Pilgerreise sein“, sagt Reisinger, die auch für die Ausbildung von Pilgerbegleitern zuständig ist.
Therapie und Meditation
Wallfahrten gibt es nur in der katholischen Kirche, das Pilgern hingegen in allen Religionen und Kulturen. „Pilgern ist eine urtherapeutische Form in allen Weltreligionen“, weiß Dittlbacher. Das Gehen ist schließlich eine Form der Meditation, der gleichmäßige Rhythmus dabei führt zu einer inneren Ruhe, aber auch einem In-Bewegung-Kommen der Seele. Pilgern ist auch ein Wiederkäuen und damit Verdauen, oft kommen einem Situationen dadurch immer wieder unter
und verbessern sich dadurch. Beim Pilgern gehe man auch im Vertrauen auf etwas Großes, Göttliches, aber mit den eigenen Lebensthemen. „Ich arbeite dabei sehr stark auch mit mir und welche Möglichkeiten ich habe. Das Therapeutische daran ist, sich Zeit zu nehmen, sich seinem Leben zu stellen.
1100 Jahre hl. Wolfgang
Die Spuren des 924 geborenen Heiligen Wolfgang ziehen sich quer durch Europa. Ein Zentrum seiner Verehrung liegt in Oberösterreich, in St. Wolfgang und dem nach ihm benannten Wolfgangsee. Der Wolfgangweg folgt den Spuren seines Namenspatrons. Zum Jubiläum veranstalten die Diözesen Linz und Salzburg am Samstag, dem 13. Juli 2024, ein großes „Sternpilgern“ nach St. Wolfgang.
Bewusst Ballast abwerfen
„Pilger beschränken sich bei ihrer Wegerfahrung meistens auf das Wenige, das Einfache. Sie werfen Ballast ab und überlegen dabei auch, was sie im Leben mit sich herumschleppen. Sie bemerken dabei aber auch, in welcher Fülle sie leben dürfen“, sagt Bischof Manfred Scheuer. Beim Pilgern öffne sich ein Blick in die Weite. „In die Weite der Landschaft und beim langen Unterwegssein auch in die Weite der eigenen Möglichkeiten“, so Scheuer. So würde sich quasi als Geschenk eine neue Beziehung zum eigenen Leben entwickeln.
Beliebte Ziele
Der Jerusalemweg ist mit 7500 Kilometern der längste Pilgerweg der Welt. Er führt vom westlichen Spanien bis nach Jerusalem und damit an die Wurzel der Weltreligionen. Der berühmteste christliche Pilgerweg ist der Jakobsweg nach Santiago de Compostela in Spanien und ist mit einer stilisierten Jakobsmuschel gekennzeichnet ist.
4000 Kilometer zu erwandern
Als echte Pilgerwege nennt Christine Dittlbacher die alten, tradierten Wege, zu denen in Oberösterreich die Jakobswege, der Benediktweg, der Mariazellerweg, der Wolfgangweg, der Martinusweg und der Weg des Buches gehören. Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe sogenannter „spiritueller Wanderwege“, die aus Tourismuskonzepten heraus entstanden sind. Lust aufs Land stellt auf den folgenden Seiten 21 Wege für das Pilgern und spirituelle Wandern in Oberösterreich vor. In Summe umfassen diese ein Netz von knapp 4000 Kilometern Länge. Einige können auf eine jahrhundertealte Tradition verweisen, zum Beispiel der Wolfgangweg (siehe Infokasten) oder die im ganzen Land präsenten Jakobswege. Ein paar spirituelle Wanderwege sind erst in den vergangenen Jahren angelegt und touristisch belebt worden, etwa der Johannesweg oder der Granitpilgern Wanderweg im Mühlviertel. Jüngster im Bunde ist der Sebaldusweg im Ennstal.
Auf Lebensthemen einlassen
Natürlich könne man auf jedem Weg mit einer sogenannten „Pilgergrundhaltung“ gehen, betont Dittlbacher. „Das bedeutet, dass ich mir gewisse Fragen stelle. Wo stehe ich gerade in meinem Leben, wie ist die Beziehung zwischen mir und der gesamten Schöpfung? Auch die Frage ‚Woher komme ich?‘ spielt eine Rolle, dabei geht es oft um ein heilvolles Abschließen mit dem Negativen. Und schließlich geht es auch um den Ausblick in die Zukunft“, erläutert die Pilgerexpertin. Sich diesen Frage zu stellen und für sich zu beantworten, brauche Zeit. „Das dauert, daher ist man beim Pilgern auch länger unterwegs als nur ein oder zwei Tage“, sagt die Pilgerexpertin. Wer wirklich pilgern will, muss also bereit sein, sich auf große Lebensthemen einzulassen.
Dem Trend zum Pilgern hat auch die Corona-Pandemie einen Schub gegeben. „Das hat viele Menschen dazu gebracht, sich einmal Zeit für sich und ihre Lebensherausforderungen zu nehmen“, so Dittlbacher. Generell gewinne in Zeiten der bewussten Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben das Pilgern zunehmend an Bedeutung.
„In unserer leistungsorientierten Zeit nehmen sich immer mehr Menschen eine Auszeit, um ihrem Leben Sinn und Ausrichtung zu geben und ein erfülltes Leben zu leben.“
Christine
Dittlbacher, Pilgerexpertin
Nach einer Pilgerwanderung würden viele Menschen von einer „neuen Qualität des Vertrauens“, berichten, so Reisinger. Das Pilgern stärke das Vertrauen in den eigenen Körper und in die einem innenwohnende Kraft. „Das Gefühl, keine Sorgen haben zu müssen, was auch kommt. Viele verspüren ein Geführtwerden und dass sie keine Angst mehr haben, sich zu verirren, auch im übertragenen Sinn“, sagt Reisinger. „Gute Füße und ein bisschen Grundkondition“, mehr brauche es nicht zum Einstieg. Eine Gruppe könne Sicherheit vermitteln, einfach losgehen könne man aber auch alleine oder zu zweit. „Aber Achtung“, warnt Christine Dittlbacher, „wer einmal mit dem Pilgervirus infiziert ist, den lässt es so schnell nicht mehr los.“
Informationen
Die Broschüre „Pilgern in Oberösterreich“,
die in Kooperation zwischen dem Netzwerk „Pilgerwege und spirituelle Wege“ und Tourismus OÖ entstanden ist, gibt es zum kostenlosen Download (www.oberoesterreich.at/pilgern). Pilger-Inspiration gibt es unter www.bewegt-begleiten.at, Informationen über Pilgerbegleiter und deren Angebote unter www.dioezese-linz.at/pilgerbegleitung oder www.spirituelle-wegbegleiter.at
Neue Bücher aus OÖ
Im Buch „Pilgern kann ich überall“ beschreiben Sabine Kronberger und Lydia Neunhäuserer
18 Tagestouren durch Österreich, außerdem finden sich darin Impulstexte zum Krafttanken und Interviews mit Pilgernden. Das Buch ist unter ISBN 978-3-200-09612-7 im Verlag Edition „Welt der Frauen“ erschienen und kostet 24,90 Euro.
„Sehnsucht Weitwandern“ heißt das Buch der Welserin Claudia Schallauer, in dem sie von ihren Erlebnissen erzählt unter anderem auf dem Johannesweg im Mühlviertel. Das Buch ist unter ISBN 978-3-7025-1113-5 im Verlag Anton Pustet erschienen und kostet 26 Euro.
Bildquellen
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