Wie Landleben zu Literatur wird
Es ist eine ungewöhnliche Kombination aus Berufen, die der Oberösterreicher Reinhard Kaiser-Mühlecker ausübt: Er ist Landwirt – und ein vielfach ausgezeichneter Schriftsteller.
Wenn Literatur und Landwirtschaft aufeinandertreffen, dann ist Reinhard Kaiser-Mühlecker am Werk. Der Oberösterreicher ist Schriftsteller – ausgezeichnet mit großen Preisen, gefeiert von Kritikern. Er gilt als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Autoren Österreichs. Zuletzt erhielt er für seinen Roman „Brennende Felder“ den Österreichischen Buchpreis 2024.
In zwei Welten daheim
Mit seiner Arbeit verbindet Kaiser-Mühlecker zwei auf den ersten Blick konträre Welten. In beiden ist er auch zuhause, denn parallel zum Schreiben führt Reinhard Kaiser-Mühlecker seit einigen Jahren den elterlichen Bio-Bauernhof in Eberstalzell. So lässt er sich an dem Ort, der ihn selbst geprägt hat, inspirieren zu literarischen Stoffen, in denen Herkunft, Prägung und Verstrickungen in die Vergangenheit verbindende Fäden sind.
In seinen Werken geht es nicht vorrangig um das bäuerliche Tun. Im Vordergrund stehen vielmehr jene Menschen, Spannungen und Umstände, die das Landleben hervorbringt und die er mit Genauigkeit seziert. Seine Bücher sind keine Heimatromane, der „Anti-Heimatliteratur“ will er sie aber auch nicht zugeordnet wissen. Durchaus aber sind es Erkundungen eines Lebensgefüges, das von Verantwortung, Druck, Tradition und Veränderung bestimmt ist. Seine im ländlichen Raum verankerten Geschichten romantisieren diesen nicht. Die Protagonisten sind meist wortkarg, aber voller unausgesprochener Gedanken. Reinhard Kaiser-Mühlecker beginnt dort, wo das Reden aufhört, seine Stärken als Erzähler auszuspielen. Intensive Naturbetrachtungen und eine teils antiquiert wirkende Sprache, die nicht auf Tempo aus ist, sind Markenzeichen des Oberösterreichers. Literaturkritiker loben „atmosphärische Dichte“ und den Sog seiner Prosa. Sie orten in ihm den „Chronisten bäuerlicher Lebenswelten“. Er selbst formuliert sein Anliegen schlicht: „Ich sehe es als eine Art Verpflichtung an, die Welt, die ich kenne, erfahrbar zu machen – einem, der sie nicht kennt.“
Dabei war seine eigene Beziehung zur Herkunft nicht immer frei von Konflikten: In jüngeren Jahren haderte er damit – etwa im Gymnasium in Wels. „Da war ich der einzige Bauernbub“, so Kaiser-Mühlecker. Auch seine Schreibanfänge waren noch begleitet von Skepsis ob des ihm naheliegenden Themas. Und doch schreibt er gegen jene Vereinfachungen an, die den ländlichen Raum wahlweise idealisieren oder abkanzeln. Letzteres habe er während seiner Studienjahre in Wien häufig wahrgenommen. „Diese Denke in der Stadt war mir einfach nicht recht, das hat mir ein Unwohlsein verursacht“, schildert er.

Bauer mit Buchpreisen
Reinhard Kaiser-Mühlecker (geboren 1982) hat im Rahmen seines Zivildienstes 14 Monate in Bolivien verbracht und neben Studienjahren in Wien auch längere Zeit in Argentinien, Deutschland und Schweden. Mittlerweile führt er den elterlichen Hof, auf dem Bio-Schweinehaltung betrieben wird.
Bisher sind neun Romane von ihm erschienen, bereits sein Erstling „Der lange Gang über die Stationen“ (2008) erzielte einen Literaturpreis. Für „Wilderer“ erhielt er den Bayerischen Buchpreis 2022, für „Brennende Felder“ den Österreichischen Buchpreis 2024. Seine Werke wurden bereits in neun Sprachen übersetzt.
Gefeiertes Debüt mit 25 Jahren
Dass er überhaupt zu schreiben begonnen hat, verdankt er vor allem einem längeren Auslandsaufenthalt: während des Zivildienstes in einem Dorf in Bolivien. „Außer zu lesen hat es dort kaum Möglichkeiten zum Zeitvertreib gegeben“, erinnert sich der 42-Jährige. Dafür, dass er erst spät mit Literatur in Kontakt gekommen ist, hat sein eigenes Schaffen aber schnell Fahrt aufgenommen. Seinen ersten Roman – prompt ausgezeichnet und als vielversprechendes Debüt gefeiert – brachte er als 25-Jähriger auf den Markt. Dabei habe er das Glück gehabt, gleich „an die richtigen Leute und an die richtigen Leser“ zu geraten, wie er es nennt. „Mittlerweile habe ich verstanden, dass es ein Geschenk ist, wenn man einen Stoff hat, der einen beschäftigt, eine Gegend, einen Menschenschlag“, so der Autor. Längst hat er daraus eine literarische Stärke gemacht.
„Ich sehe es als eine Art Verpflichtung an, die Welt, die ich kenne, erfahrbar zu machen – einem, der sie nicht kennt.“
Reinhard Kaiser-Mühlecker
Im Gegensatz zum Schreiben sei der Schritt in die aktive Landwirtschaft für ihn und seine Familie immer klar gewesen – auch trotz aller Erfolge in der Literaturwelt. „Ich war als Hoferbe vorgesehen und von klein auf überall dabei“, sagt Kaiser-Mühlecker, der mit zwei Geschwistern aufgewachsen ist. Auch wenn ihn seine Wege zwischenzeitlich weit weggeführt hatten, habe er stets gewusst, dass sein Platz einmal jener sein werde, den er in seinen Büchern so eindringlich beschreibt. „Mir vorzustellen, dass unseren Hof jemand anderer bewirtschaftet – das geht einfach nicht“, sagt er.
Dass sein literarisches Feld so deckungsgleich ist mit jenem, das er tatsächlich beackert, verleiht seiner Stimme noch mehr Gewicht. So ist der Eberstalzeller zum Brückenbauer geworden hin zu all jenen, die mit der Landwirtschaft keine Berührungspunkte mehr haben. „Es gibt schon so viele Leute, die gar nicht mehr wissen, was Bauern tun“, bedauert er.
Am Land zu leben heißt für den Schriftsteller auch ungestört arbeiten zu können und die Natur um sich zu haben. Zwischen Tieren, Feldern und Wäldern findet er letztlich jene Ruhe, die sein Schreiben trägt. „Hier bin ich in den Elementen“, formuliert es Kaiser-Mühlecker ganz poetisch. Und während draußen die Jahreszeiten wechseln, entsteht an langen Abenden am Schreibtisch – und nach getaner Arbeit am Hof – Roman Nummer zehn.
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