Konkurrenz für das Schnitzel
Pflanzliche Lebensmittel sind im Vormarsch, sagt die Trendforschung. Das bedeutet aber nicht das Ende des Fleischkonsums. Vorerst geht es um „Anpassungsfähigkeit“. Und: Regionalität bleibt bedeutend.
Was werden wir in Zukunft essen? Wer auf diese Frage eine Antwort bekommen will, muss gleich einmal enttäuscht werden. „Die eine Antwort darauf gibt es nicht, und auch keine einfachen Antworten“, sagt die renommierte Trendforscherin im Bereich Ernährung, Hanni Rützler. Im wahrsten Sinn des Wortes: Rützler verweist darauf, dass sich die so genannten „Foodtrends“ momentan sehr kleinteilig entwickeln, sie habe jüngst ganze 40 Trends ausgemacht. Rützler beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Esskultur und deren Veränderungen, ihr jährlicher „Food-Report“ findet weitum Beachtung.
Insgesamt sei die Esskultur im Wandel begriffen. „Wenn man einen Ausblick wagt, in welche Richtung sich die Food-Welt entwickeln könnte oder sollte, dann ist Resilienz das wichtigste Stichwort“, betont Rützler. Anpassungsfähigkeit an die Umwelt und die immer offensichtlicheren klimatischen Veränderungen zu entwickeln sei nötig. „Der Fokus in der Lebensmittelproduktion war lange nur auf Effizienz gerichtet“, so Rützler. Schneller, billiger, mehr darum gehe es nun nicht mehr. „Wir müssen lernen, über Branchengrenzen hinaus zu denken“, sagt die Expertin.
„Der Mensch wird auch in Zukunft noch Fleisch essen, aber eben in geringeren Mengen.“ Hanni Rützler, Trendforscherin
Pflanzliches im Vormarsch
Mittlerweile sei das Umfeld, nicht zuletzt auch durch multiple Krisen, sehr komplex geworden. Auf Innovationen zu setzen und Neues zu wagen erfordert in schwierigen Zeiten mehr Mut. Foodtrends seien auch Antworten auf aktuelle Wünsche und Sehnsüchte der Menschen. Ein großes Thema sei der sich schon länger abzeichnende Vormarsch pflanzlicher Lebensmittel. Fleisch- und Wurstwaren dominieren seit mehr als einem halben Jahrhundert die Speisepläne. Anders als in Österreich, wo die Landwirtschaft klein strukturiert ist und der bäuerliche Familienbetrieb dominiert, sei die Nutztierhaltung in vielen Ländern aber zur Massenproduktion ausgeartet, was in Kombination mit der Klimakrise zu einem veränderten Konsumentenverhalten führe. „Das Umwelt- und Klimamotiv ist zum wichtigsten Grund für einen verringerten Konsum tierischer Nahrungsmittel geworden“, sagt Rützler.
Die Nahrungsmittelindustrie tut das ihre dazu, indem sie mit sogenannten „Plant-based“-Produkten versucht, den tierischen Geschmack in pflanzlichen Produkten zu simulieren. Die Ergebnisse sind zum Teil aber hochgradig verarbeitet. Mittlerweile wandert der Fokus hin zu gesünderen Varianten. „Diese sind momentan noch teuer, aber hier herrscht weltweit Goldgräberstimmung“, weiß die Expertin.
Kein Trend ohne Gegentrend
Dem Trend zu „Plant-based-Food“ stehen als Gegentrend die „Vegourmets“, „Real Omnivores“ und „Carneficionados“, wie Rützler sie in ihrem „Food Report 2024“ bezeichnet, gegenüber. Vegourmets ernähren sich vegetarisch oder vegan, aber ohne Fleischersatzprodukte. So seien vor allem in der Spitzengastronomie Köche zu finden, die aus Gemüse, Obst, Getreide, Hülsenfrüchten, Pilzen und Kräutern ganz neue Speisen kreieren. Real Omnivores setzen auf Vielfalt und sind gegenüber Exoten wie Insekten und Schnecken genauso wie gegenüber Innovationen aus der Forschung aufgeschlossen. Carneficionados verzichten als bekennende Fleischliebhaber nicht auf diesen Genuss und setzen auf Fleisch aus nachhaltiger, klima- und tiefreundlicher Produktion in maßvollen Mengen.
„Einen Wandel hinzubekommen funktioniert nur über den Genuss, denn nur was auch schmeckt, kann überzeugen“, sagt Rützler. Es gehe daher auch in der Küche um Weiterentwicklung. Selbst wenn Fleisch seine „Pole-Position am Teller“, wie Rützler es bezeichnet, verliert: „Der Mensch wird auch in Zukunft noch Fleisch essen, aber eben in geringeren Mengen“, so die Trendforscherin. Im voralpinen Raum sei es auch sinnvoll, Fleisch zu produzieren und eine kulinarische Vielfalt die beste Antwort auf die heute sehr diverse Gesellschaft. Blickt man über Europa hinaus, ist ohnehin ein steigender Fleischkonsum zu sehen: So wurden 2021 weltweit 360 Milliarden Kilogramm Fleisch konsumiert doppelt so viel wie im Jahr 1990, wie die Zahlen der Organisation „Our World in Data“ zeigen.
Alle Bestandteile verwerten
Als weitere zentrale Trends nennt Hanni Rützler auch „Circular Food“ und „Regenerative Food“. Ersterer bezeichnet die Bemühungen, auch für Reste, die beim Verarbeiten von Lebensmitteln entstehen, Ideen zu entwickeln. „So werden Bestandteile von Ausgangsprodukten, die beim Verarbeiten bestimmter Lebensmittel keine Verwendung finden, etwa Schalen oder Kerne, als wertvolle Ressource wahrgenommen“, erläutert Rützler. Wenn von regenarativer Landwirtschaft die Rede ist, geht es um Themen wie organische Düngung, Fruchtfolge, Bodendeckung und Verwurzelung. „All diese Maßnahmen verschaffen ausgelaugten Böden Regeneration. Gleichzeitig erhöhen sie deren Kapazität, Kohlenstoff zu speichern“, so die Trendforscherin.
Facetten der Regionalität
Ein Thema, das auch nach vielen Jahren noch aktuell ist, ist die Regionalität. Ursprünglich als Gegenbewegung zum Megatrend Globalisierung entstanden, hat die Bedeutung der nahen Herkunft gerade bei Lebensmitteln und die Hinwendung zu heimischen Produkten einen bleibenden Stellenwert errungen. Von regional über lokal entwickelte sich der Trend weiter in Richtung „New Local“, mittlerweile kursiert auch schon das Motto „Brutal Lokal“ und meint damit eine radikale Saisonalität, in der etwa auch die kulinarischen Potenziale von „Wild Food“ wie Gräser, Flechten oder Pilze ausgelotet werden. „New Glocal“ bezeichnet das Bemühen, die globalisierte Ernährung wieder in regionalere Strukturen zu bringen. „Aber nicht alle Lösungen sind regional zu schaffen, dafür sind Partnerschaften mit anderen Regionen gefragt“, ergänzt Rützler.
„Regionalität ist ein weicher Begriff. Damit wird auch der Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit und einer besseren Sozialverträglichkeit assoziiert. Er
umfasst auch den Anspruch an eine höhere Qualität“, sagt Rützler. Ebenso spiele die Sehnsucht nach Saisonalität mit. Regionalität bleibe auch
künftig ein starkes Thema, brauche aber mehr Präzisierung. „Der Fokus muss auf den Eigenheiten einer Region liegen“, so Rützler. Die Frage „Was
sind unsere Stärken?“ solle im Vordergrund stehen.
Letztlich sind es die Konsumenten, die mit jedem Griff ins Regal einen Auftrag erteilen. Doch dieser fällt nicht immer so schlüssig aus, wie es die Wünsche und Forderungen aus der Gesellschaft vermuten lassen würden. Trotz lauter Rufe nach Tierwohl, Umweltschutz und Qualität landen im Einkaufswagen oft nur Billigprodukte. „Was muss ich produzieren, um die Ansprüche der Konsumenten decken zu können, die Ware aber auch zu verkaufen? Mit solchen Fragen ist die Landwirtschaft konfrontiert“, sagt Agrarlandesrätin Michaela Langer-Weninger. Im Hinblick auf das aktuelle Einkaufsverhalten hierzulande betont die Trendforscherin, dass die Wertschätzung gegenüber Qualität in Österreich gegeben sei. Denn dass die Krisen, die das Jahr 2023 kennzeichnen, auch das Einkaufsverhalten beeinflussen, hat die Agrarmarkt Austria (AMA) anhand jüngster Marktanalysen festgestellt.
„Schnäppchenjäger“ werden mehr
In der rollierenden Agrarmarkt-Analyse führen 2800 österreichische Haushalte Aufzeichnungen über ihre Einkäufe im Lebensmitteleinzelhandel. Die Mengen und Ausgaben werden dann hochgerechnet auf die Gesamtzahl der Privathaushalte und ergeben so ein klares, im Halbjahrestakt akutalisiertes Bild. „Allgemein lässt sich sagen, dass die Coronakrise zu mehr Wertschätzung gegenüber Lebensmitteln geführt hat“, sagt AMA-Marketing-Geschäftsführerin Christina Mutenthaler-Sipek. Mit dem Ukraine-Krieg sei die Preissensibilität in den Vordergrund gerückt, was sich durch die hohe Inflation noch gesteigert habe. „Aktionen gewinnen an Bedeutung“, resümiert Mutenthaler-Sipek mit Blick auf die jüngsten Zahlen, „aber Frische und Qualität bleiben als bedeutende Faktoren.“ Das bestätigt Micaela Schantl: „Jeder dritte Euro fließt in ein Aktionsprodukt“, weiß die Leiterin der Marktforschung. Besonders oft sei das bei Butter und Fleisch der Fall, wo mehr als
40 Prozent in Aktion gekauft werden. „Aktionen haben einen psychologischen Effekt. Davon wird jeder angesprochen, egal ob reich oder arm. Der Mensch hat ein gutes Gefühl, wenn er ein Schnäppchen gemacht hat“, so Schantl.
Einkauf verstärkt beim Diskonter
Die Preiskurven präsentierten sich in den vergangenen Monaten „sehr dynamisch“, nachdem zuvor über lange Strecken hinweg wenig Bewegung zu sehen war. Im Handel heißt das, dass sich die Konsumenten verstärkt bei den Diskontern eingedeckt haben diese konnten ihren wertmäßigen Anteil um ganze 30 Prozent steigern. Auch die Eigenmarken der Handelsketten gewinnen an Bedeutung.
Der Bio-Markt konnte von 2017 bis 2022 laufend Anstiege verbuchen, im ersten Halbjahr 2023 wurde ein mengenmäßiger Rückgang von 5,6 Prozent verzeichnet. Die Bio-Anteile im Lebensmittelhandel bleiben mit 11,5 Prozent aber stabil und bedeuten eine Verdreifachung innerhalb der letzten 20 Jahre. Vor allem bei Milch- und Milchprodukten sowie frischem Obst und Gemüse legen die Konsumenten in Österreich Wert auf ökologische Erzeugnisse, weiß Barbara Köcher-Schulz, Leiterin des Bio-Marketings.
Regionalität bleibt wichtiger Trend
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