Lebensmittel & Ernährung

Ernährung: Pyramide vs. Teller

KRANKMACHER – Ernährungsbedingte Krankheiten gelten als das größte gesundheitliche Problem Europas. Ernährungsleitlinien sollen zu einem gesunden Lebensstil erziehen. Welche Empfehlungen die richtigen sind, darüber herrscht Uneinigkeit.

Ungesunde Ernährung führt zu Übergewicht und in der Folge zu unterschiedlichen Krankheiten. Das ist wissenschaftlich belegt“, sagt Universitätsprofessor Kurt Widhalm. Er ist der Präsident des Österreichischen Akademischen Instituts für Ernährungsmedizin (ÖAIE) und hat gemeinsam mit weiteren Experten in einer Pressekonferenz Ende Juni auf das Thema aufmerksam gemacht. Ernährungsbedingte Krankheitsauslöser seien vor allem eine zu hohe Aufnahme von Energie, Transfetten, Zucker und Salz sowie eine zu geringe Aufnahme von Obst, Gemüse und Vollkornprodukten.“

Laut Gesundheitsbefragung 2014 ist ein Drittel der Österreicherinnen und Österreicher übergewichtig. Jeder siebte (14 Prozent) ist sogar adipös, also fettleibig. Männer häufiger als Frauen. Ernährungsleitlinien sollen dem Problem begegnen. Viele bisherige Leitlinien würden allerdings das tägliche Bewegungsausmaß und Faktoren wie Alter und Geschlecht nicht berücksichtigen, obwohl diese wesentlich zum Energiebedarf beitragen, sagt Widhalm.

Individuelle Leitlinien

Die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA (European Food Safety Authority) hat nun im vergangenen Dezember neue Ernährungsrichtlinien präsentiert. Diese geben erstmals individuell nach Alter, Geschlecht, Aktivitätslevel und Lebenssituation (z. B. Schwangerschaft) klar definierte Aufnahmeempfehlungen für Energie, Kohlenhydrate, Protein, Fett und Wasser an. „Diese Richtlinien befinden sich am aktuellen Stand der Wissenschaft und sollten Grundlage für alle Ernährungs-Leitlinien sein“, sagt Widhalm. Länderspezifische Ernährungsempfehlungen hält Widhalm für wissenschaftlich nicht gerechtfertigt.

Auch von Ernährungsempfehlungen in Form von sogenannten „Ernährungspyramiden“ – wie es sie in Österreich gibt – hält Widhalm nichts: „Diese haben sich als völlig ineffektiv in Bezug auf die Änderung von bestehenden Ernährungsgewohnheiten herausgestellt.“ Sein Institut empfiehlt die Darstellung des „gesunden Tellers“, der von der „Harvard Medical School“ entwickelt wurde. Er zeigt das Verhältnis, wie Lebensmittel im täglichen Speiseplan vorkommen sollten: Die Hälfte Gemüse und Obst, ein Viertel Getreideprodukte und ein Viertel Proteine.

„Bröckelt“ die Ernährungspyramide und soll sie vom „gesunden Teller“ abgelöst werden?

Ernährungspyramide bleibt erhalten

Von der Österreichischen Ernährungspyramide will das zuständige Gesundheitsministerium derzeit aber nicht abrücken, weil es „eine gut etab­lierte und sehr bekannte Marke ist“, heißt es. Die bildhafte Darstellung der Pyramide zeige im Gegensatz zum gesunden Teller auch die Vielfalt: „Damit wird die Bedeutung einer abwechslungsreichen Ernährung unterstrichen.“ Bei einer Evaluierung habe sich außerdem gezeigt, dass die zentralen Botschaften einer gesunden Ernährung einleuchtend transportiert werden und der Bevölkerung gut bekannt sind.

Die Pyramide wie auch der Teller sind „lebensmittelbasierte“ Ernährungsleitlinien (im Unterschied zu „nährstoffbasiert“). Damit werden „wissenschaftlich fundierte Empfehlungen bildhaft übersetzt, um sie alltagstauglich zu machen“. Solche Darstellungen könnten aufgrund regionaler Unterschiede in der Lebensmittelverfügbarkeit nicht weltweit oder europaweit einheitlich sein, sagt das Gesundheitsministerium. Die Vereinigung europäischer Ernährungsgesellschaften (FENS) beschäftigt sich derzeit aber mit diesem Thema und erarbeitet einen Rahmen für lebensmittelorientierte Leitlinien. Die Veröffentlichung ist im Herbst 2019 geplant. Danach werde die Pyramide evaluiert.

Welche Leitlinien letztlich „richtiger“ oder „verständlicher“ sind, bleibt also weiterhin strittig. Die Herausforderung liegt ohnehin – da sind sich alle einig – woanders: nämlich in der Umsetzung des Wissens im Alltag, um eingefahrene Ernährungsgewohnheiten tatsächlich zu ändern.

Bildquellen

  • Ernährungspyramide: Fotolia – Luis Carlos Jiménez; gearstd; Repro LustaufsLand/Jank
  • Ernährungspyramide: Fotolia – Luis Carlos Jiménez; gearstd; Repro LustaufsLand/Jank