Kinder & Freizeit

Wahnsinn Kindergeburtstag

Topfschlagen und Blinde Kuh waren gestern. Heute braucht es ein Motto, Rund-um-die-Uhr-Bespaßung oder gleich einen Ausflug, um den Ehrentag der Sprösslinge zu feiern. „Das Kind wird zum Ausstellungsobjekt der eigenen Eitelkeit“, sagt Hirnforscher Gerald Hüther. Viele Eltern sind von diesem Wettbewerb überfordert.  

Bekämpfe mit dem Lichtschwert die dunkle Seite der Macht, werde plötzlich Prinzessin, stolziere als Topmodel über den Laufsteg oder fahre als schrecklicher Pirat zur See. So will es das Programm heutiger Kindergeburtstage. Zumindest beim Kinderparty-Anbieter „crocodil events“ wirbt man so um die kleinen Stars und ihre Eltern. Kostenpunkt für zwei Stunden Animation in den eigenen vier Wänden: 649 Euro. Darin ist aber „cooler Discosound mit Nebel und Lichteffekten“ als Abschluss schon inkludiert. Ober man spart sich den Aufwand zu Hause und lagert die Geburtstagsparty aus. Zum Beispiel in den „Jump Dome“ nach Linz, ein gefragter Feier-Ort. Dort können die Kinder nach Lust und Laune zwei Stunden hüp­fen und anschließend ausgepowert an einem der vielen Tische die Idee haben schließlich mehr das Geburtstagskind eine weitere Stunde bei Chips, Soletti, Saft und Torte hochleben lassen. Kostet 40 Euro pro Kind. Bei acht eingeladenen Kindern also 320 Euro. „Am Wochenende finden zahlreiche solcher Partys statt, unter der Woche sind es weniger“, erzählt David Purrer, Operation Manager des Jump Dome. 

„Da geht es weniger um die Kinder. Die Eltern wollen sich selbst
verwirklichen. Und zwingen damit auch andere, diesen Zirkus mitzumachen.“

Hirnforscher Gerald Hüther

Ein durchgetaktetes Programm und „Give-aways“

Und das macht Eltern und Kinder glücklich? „Ja“, sagt Purrer, „jedes Kind, das hier einmal eingeladen wurde, will seinen Geburtstag auch so feiern.“ Und die Eltern? „Für die ist es sehr entspannt. Sie brauchen nichts vorbereiten, nichts zusammenräumen und nach drei Stunden sind die Kinder so müde, dass sie bei der Heimfahrt im Auto einschlafen.“ 

„Die Eltern wollen ein ,Komplett-Sorglos-Paket‘ und buchen unsere Angebote, damit ihnen die Arbeit abgenommen wird und die Kinder jede Menge Spaß haben“, sagt Bernard Zamakhovski, der Inhaber von „crocodil events“. Der Renner seien momentan Einhorn- und Paw-Patrol-Partys.

In der Wirtschaft ist dieser Trend jedenfalls ange­kommen. War früher eine „McDonalds-Party“ das Höchste der Gefühle, so bewerben sich heute die ver­schiedensten Unternehmen als Kindergeburtstags­an­bieter: Tierparks und Museen, die Grottenbahn und der Lollipark, der SportPoint und das Ars Electronica oder auch Einkaufszentren. Wer zu Hause feiert, kann sich Zauberer und Kinderschminkerin buchen, üppig dekorieren und ein durchgetaktetes Programm überlegen. Natürlich ausgerichtet auf ein Motto: Anna und Elsa, Meerjungfrau oder Zauberfee für die Mädchen, eine Lego-, Superhelden- oder Ritterparty für die Jungen. Zum Abschluss gibt es ein Give-away, also ein Geschenk aber nicht für das Geburtstagskind, sondern für alle eingeladenen Kinder. Von Hochzeiten kennt man sowas. 

„Es darf kein normaler Kindergeburtstag sein“

Zugegeben: Nicht alle Kindergeburtstage werden derart groß gefeiert. Es gibt auch noch sowas wie „Inseln der Seligen“, sagt Anna Oppitz über die Geburtstagsfeiern am Land in ihrem Bekanntenkreis: „Jeder hat zu Hause gefeiert. Schon mit vorbereiteten Spielen, aber eher im Format Schatzsuche, Schnitzeljagd und Kasperltheater. Geschenke wurden vorher im Betrag von sieben bis zehn Euro ausgemacht.“ 

Dass es aber in den vergangenen Jahren immer mehr wurde, bestätigen alle Mütter (es sind auch in Sachen Kindergeburtstag meist die Mütter die Verantwortlichen). „Es hat sich vom ersten bis zum dritten Kind zu­gespitzt“, sagt Margit Ziegelbäck. Ihre Kinder sind 16, 14 und 9 Jahre alt. „Früher sind die Kinder einfach gekommen und haben gespielt, heute brauchen sie einen Moderator, der sie anleitet. Es darf kein norma­ler Kindergeburtstag sein, sondern es braucht ein Highlight, ein Event“, so Ziegelbäck. Was bei den Partys beginnt, geht bei den Geschenken weiter. Eines ihrer Kinder war im Jump Dome eingeladen: „Da fühlt man sich verpflichtet, den teuren Eintritt mit einem entsprechenden Geschenk zurückzuschen­ken.“ Ähnliche Erlebnisse hat auch Johanna Wiesinger. Ihre Tochter feierte den sechsten Geburtstag. Während sie im Sandkasten spielten, kam ein Mädchen her und fragte, wann sie denn mit den Spielen beginnen wür­den. „Ich wusste nicht recht, was ich sagen soll. Die Kinder erwarten ein fixes Programm und dauernde Bespaßung.“ Wiesinger erzählt auch von einer Motto­party namens „Feuerwehrmann Sam“. Auf ihre Frage, ob das dem Kind gefällt, antwortete die Mutter „Das ist eher so mein Ding“. Oder kürzlich habe jemand nach einer Kinderschminkerin für den Geburtstag der dreijährigen Tochter gesucht. „Für eine Dreijäh­rige? Ich habe schon das Gefühl, dass viel von den Eltern ausgeht“, sagt Wiesinger.  

„Eltern wollen beweisen, was sie den Kindern alles bieten können“

„Die Einstellung zu Kindern hat sich verändert. Kinder sind heute Teil des eigenen Lebenskonzeptes und der eigenen Selbstverwirklichung“, sagt Gerald Hüther. Er ist einer der bekanntesten Hirnforscher Deutschlands und propagiert das „freie Spiel“, wenn Kinder also ohne Anleitung von außen unbekümmert ausprobieren und entdecken können und damit die „wichtigste Lernerfahrung“ machen. Wenn Kin­der ih­ren eigenen Lernprozess gestalten und Lösungen selbst finden wie viele Steine zum Beispiel ein Turm aushält, ohne dass er umfällt, dann bilden sich im Ge­hirn neue Vernetzungen. „Wenn wir den Kindern die Möglichkeit rauben, mit spielerischer Leichtigkeit herauszufinden, wie etwas geht, erziehen wir Kin­der, die dieses Selbstwirksamkeitskonzept und die Fähigkeit, sich in neuen Situationen zurechtzufinden, nicht ausbilden“, sagt Hüther. 

Die ausufernden Geburtstagsfeiern „verführen das Kind dazu, sein Glück im Außen zu suchen, und enden in der Vorstellung, dass man nur dann ein toller Mensch ist, wenn man genügend Geld hat und sich das leisten kann“, sagt der Hirnforscher. Es gehe dabei weniger um die Kinder, sondern um die Verwirklichung der Eltern. „Die Eltern wollen beweisen, was sie ihren Kindern alles bieten können. So werden die Kinder zum Ausstellungsobjekt der eigenen Eitelkeit“, sagt Hüther. Die Erwartungshaltung wächst: bei den eigenen Kindern, die es im nächsten Jahr mindestens so toll haben wollen, und bei den anderen Kindern und Eltern, die sich derartige Feste nicht leisten können oder auch nicht wollen. 

„Wenn Kinder schon solche Partys gewohnt sind, wie wollen die einmal ihren 30. Geburtstag, ihre Hochzeit oder andere Feste feiern? Das kannst du nicht mehr toppen“, sagt Margit Granig-Ebner. Auch eine andere Mama, die lieber anonym bleiben möchte, erzählt von Mottopartys, Vollbespaßung und über­motivierten Eltern. Und was sie dann sagt, klingt fast wie ein Hilferuf: „Alles muss immer mehr und mehr sein. Es ist zu viel.“

Ein neuer Gegentrend? Ja, bitte!

Wie wäre es, wenn wir einen Gang zurückschalten und uns wieder mehr den Kindern und ihren Bedürf­nissen zuwenden, oder wie Gerald Hüther es ausdrückt: „Liebe ist das unbedingte Interesse an der Entfaltung des Kindes. Dazu muss man sich nicht selbst beson­ders toll darstellen.“ Übertragen auf die Kindergeburts­tage heißt das: „Überlegen wir mit dem Geburtstagskind gemeinsam, was man Schönes ma­chen könnte, damit die anderen Kinder sich freuen. Eine Schatzsu­che im Garten oder Park zum Beispiel, bei der das Ge­burtstagskind selber Kleinigkeiten ver­steckt“, empfiehlt Hüther. Oder die Schatzsuche am Feld und im Stall und dabei entdecken, wo Eier und Mehl für den Geburtstagskuchen herkommen, wie bei Margit Ziegelbäck. Oder ein Give-away bei der Feier selbst basteln, wie bei Johanna Wiesinger. Oder Dosenschießen, Sackhüpfen und ein Lagerfeuer, wie bei Margit Granig-Ebner. 

Die Rückmeldungen der Kinder und Eltern lassen jedenfalls vermuten, dass diese Partys genauso glück­lich machen, wenn nicht sogar glücklicher. „Andere Eltern fragen mich, wie wir das machen, dass die Kin­der bei uns auch ohne Vollbespaßung eine Freude haben“, sagt Johanna Wiesinger. „Unsere Kinder hat unsere Art zu feiern stolz gemacht“, sagt Margit Ziegelbäck. Und Margit Granig-Ebner erzählt vom wahr­scheinlich besten Feedback der Kinder und Gästekinder: „Es soll im nächsten Jahr genauso sein.“ Vielleicht ein neuer Gegentrend? Ja bitte.

Das sind keine Kindergeburtstage. Das sind Events. Margit Ziegelbäck

Die Kinder erwarten ein Programm und permanente Bespaßung. Johanna Wiesinger

Alles muss immer mehr und mehr sein. Es ist zu viel. Anonym

Wenn kleine Kinder das schon gewohnt sind, wie soll das weitergehen? Margit Granig-Ebner 

Bücher von Gerald Hüther

Gerald Hüther ist einer der bekanntesten Hirnforscher Deutschlands. Er propagiert das „freie Spiel“, wenn Kinder also ohne Anleitung von außen ihren angeborenen Entdeckergeist und Lernwillen ausprobieren können. Er hat dazu zahlreiche Bücher geschrieben. Eine Auswahl: 

Bildquellen

  • lustig: Kirstin Gründler; A-R-T-I Vektor - Stock.Adobe.com