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Dünnes Eis, fetter Gewinn

GENAU GESCHAUT. Kinder jeden Alters greifen – gerade jetzt im Sommer – gern zum Eis. Häufig auch zur Großpackung aus dem Kühlregal oder dem Lutscher an der Kassa. Doch das heiß geliebte Eis ist mitunter eine eiskalte Abzocke.

Cremig, zartschmelzend und erfrischend kühl. An heißen Sommertagen – oder auch mal als süße Sünde zwischendurch – spendet Eis eine köstliche Abkühlung. Dass die gefrorene Masse so samtig auf der Zunge zergeht und den Gaumen umspielt, liegt am Fett und vielen kleinen Luftbläschen. Zwei Bestandteile, an denen auch die Lebensmittelindustrie ihre helle Freude hat. Denn hier gibt es einige Möglichkeiten Profit zu machen. Etwa indem Milch und Süßrahm durch importierte Pflanzenfette aus Übersee ersetzt werden. Oder einfach indem man die Eismasse mit Luft aufbauscht und so die Packung nur zur Hälfte füllt. Solange Aussehen und Volumen stimmen, erkennt kein Konsument – zumindest nicht auf den ersten Blick – die Masche mit der Luft.

Viel heiße Luft um wenig kaltes Eis

Acht Liter oder umgerechnet 120 Kugeln Eis schleckt der durchschnittliche Österreicher Schätzungen zufolge jährlich. Ein Großteil davon kommt aus dem Supermarkt und nicht von der Eisdiele im Ort oder aus dem Hofladen. Industriell gefertigtes Eis macht etwa 85 Prozent des jährlichen Verzehrs aus, sprich 6,8 Liter. Wie viel Gramm das sind, ist schwer zu sagen. Denn bei gleichem Volumen hat Eis abhängig vom Hersteller unterschiedlich viel Gewicht. Ursächlich hierfür ist der sogenannte Lufteinschlag. Ein Vorgang, bei dem während des Gefrierprozesses kleine Luftbläschen in die Eismasse eingearbeitet werden. Durch das Aufschlagen, ähnlich wie bei Schlagobers oder Eischnee, wird verhindert, dass sich beim Erkalten zu große Eiskristalle bilden. „Im Prinzip dient dieser Vorgang dazu dem Eis Textur und ein gewisses Mundempfinden zu geben“, erklärt Otmar Höglinger, Professor für Lebensmitteltechnologie an der Fachhochschule (FH) Wels. Aus seiner Sicht gehe es nicht vordergründig darum dem Konsumenten Luft zu verkaufen. Etwas pragmatischer sieht das AMA-Marketing-Experte Rüdiger Sachsenhofer: „Viel Volumen, wenig Gewicht, das ergibt zusammengefasst einen sehr hohen Gewinn.“ Nun gut, welche Intention die großen Markeneishersteller haben, sei einmal dahingestellt. Nur sie können wirklich sagen, was „schwerer“ wiegt: der größere Verkaufserlös pro Stück oder die auf die Spitze getriebene Erfüllung des Konsumentenwunsches nach flaumigem Eis. Für Letzteren bedeutet viel Luft, so oder so weniger Dichte und damit weniger Eis pro Packung. Stellt sich die Frage: Wie Handhaben gewerbliche Eismanufakturen oder bäuerliche Eisproduzenten die Sache mit dem Lufteinschlag – ist ihr Eis dem Genießer zu schwer?  

Beim Eiskauf sollte man immer auf das Gewicht achten.

Ernst Wolfmayr, Bauernhof-Eis-Produzent in St. Martin im Mühlkreis

Lust aufs Land hat bei Ernst Wolfmayr, Bauernhof-Eis-Produzent in St. Martin im Mühlkreis, nachgefragt: „Unser Eis wird bei der Produktion lediglich gerührt. Extra Luft einschlagen tun wir nicht. Darum ist unser Produkt auch schwerer.“ Beschwert habe sich darüber noch niemand, meint er schmunzelnd. Auch wie das Speiseeis (Sorbet und Eiscreme) am Betrieb hergestellt wird, erzählt der Milchbauer bereitwillig. „Für das Milcheis ist unsere frische Vollmilch vom Tank die Basis. Zu dieser kommen Eidotter als Bindemittel und je nach Sorte natürliche Geschmacksträger wie Haselnuss oder Schokopaste. Hinzu kommen noch eine Zuckermischung sowie unser hofeigenes Schlagobers – wir sagen Rahm dazu. Dann wird alles durchpüriert und in die Maschine gegeben, wo die Eismasse erst auf 85 Grad Celsius erhitzt und dann gerührt wird. Über eine geschlossene Leitung gelangt das Eis schließlich in die Kühlkammer und wird auf circa minus sieben Grad Celsius heruntergekühlt und abgepackt.“ Pro Liter bringt es das Mühlviertler Milcheis (abhängig von der Sorte) auf 700 bis 850 Gramm. Das ist auch auf der Verpackung freiwillig angegeben. „Beim Kauf sollte man immer auf das Gewicht achten“, so der wertvolle Tipp Wolfmayrs an die Konsumenten. 

Pflanzliche Fette sind billiger als Milch. So einfach wie bedenklich ist der Grund für das zunehmende Zurückdrängen der Milch in der Eisproduktion. Leider zählt auch beim Eis scheinbar nur der Preis.

Agrarlandesrat und Bauernbund-Obmann Max Hiegelsberger

Auch auf den meisten industriell gefertigten Eis-Produkten ist das Nettogewicht deklariert. Am Supermarkt-Preisschild jedoch sind mehrheitlich nur die Milliliter bzw. Liter ausgewiesen. So kommt es auch, dass kaum jemand den Unterschied bei ähnlich großen Eispackungen bemerkt. Hier schließt sich der Kreis der Konsumententäuschung. Denn auf dasselbe Volumen (Liter) kann, wie bereits erläutert, unterschiedlich viel Eismasse kommen. Das alles erschwert dem Käufer den objektiven Preisvergleich. Von Gesetzeswegen ist laut Wirtschaftskammer auch eine fehlende Grammangabe legitim, solange die Volumeneinheit angegeben ist. Denn nach der EU-Infor­mationsordnung sei die Nettofüllmenge bei flüssigen Erzeugnis­sen in Liter, Zenti- oder Milliliter anzugeben. Basierend auf der Auslegung des Österreichischen Lebensmittelhandbuchs, fallen „pastöse“, also pastenartige Lebensmittel wie Eis darunter. Aufpassen und aufmerksam sein, heißt es aber nicht nur beim Volumen. Denn auch bei den verarbeiteten Rohstoffen wird getrickst. Neuerdings wird etwa das Milchfett gerne durch eine kostengünstigere Alternative ersetzt.

Gut zu wissen
Nicht immer muss man die ganze Zutatenliste lesen. Bei Produkten wie dem Speiseeis verrät schon der Name einiges über den Inhalt. Konsumenten, deren Herz nur bei Produkten aus klassischen Eiszutaten wie Vollmilch und Sahne höher schlägt, sind mit „Eiscreme“, „Milcheis“ oder „Sahneeis“ gut beraten. Finger weg heißt es dafür, wenn auf der Packung lediglich ein „Eis“ prangt. Denn in diesem Fall wurde mit Pflanzenfetten gearbeitet.

Nur der Preis zählt

Dass Eiscreme aus Milch gemacht wird – von Sorbets und veganen Alternativen mal abgesehen –, ist für die meisten selbstverständlich. Das stimmt so aber leider nicht. Denn inzwischen ist in einem beachtlichen Teil der gefrorenen Produkte das Milch(fett) durch pflanzliche Substitute ersetzt worden. Der Grund: Palm- und auch Kokosöl sind in der Herstellung und damit im Großhandelseinkauf deutlich billiger. „Milchfett hat einen vielfachen Preis von pflanzlichen Fetten. Je nach Marktlagen kann das ein Vier- bis Zehnfaches sein. Indem man Milchfett substituiert, spart man Kosten“, erklärt AMA-Experte Sachsenhofer. Naturgemäß anders sehen das die Hersteller. Sie begründen die Verwendung von Pflanzenfett, meist stammt es von der Kokospalme, mit den Wünschen des Konsumenten. Außerdem sei der Geschmack neutraler. Dazu weiß aber FH-Professor Höglinger Interessantes zu berichten: „Durch Raffination kann man überall den Eigengeschmack herausnehmen. So können auch tierische Fette sehr geschmacksneutral werden.“

In welchem Ausmaß Kokosfett bereits die tierische Variante ersetzt, zeigt ein kürzlich durchgeführter Testeinkauf des OÖ Bauernbundes. Dabei konzentrierten sich die Aufdecker auf soge­nanntes Impulseis, also einzelne Eislutscher und Mini-Eisbecher (meist in Kassanähe zu finden). Das Ergebnis ist ernüchternd: Von den 18 Proben kam nur etwas mehr als ein Drittel ohne Kokosfett aus – und dabei handelte sich fast ausschließlich um Sorten, die als „regional“, „bio“ oder „fair trade“ deklariert und beworben wurden. 

Die große Masse aber enthält Pflanzenfette, wenn nicht Kokos- dann Palmöl. Letzteres aber nur mehr selten, da es bei den Konsumenten wegen seiner nega­tiven Auswirkungen auf Klima und Gesundheit in Verruf geraten ist. Dass das Öl der Kokospalme nicht besser ist, ist leider noch wenig publik (siehe Grafik). Ein Problem, auf das auch der WWF aufmerksam macht. 

Trendfett am Pranger

In ihrem „Eisreport 2020“ prangert die Non-Profit-Organisation die sozialen und umweltpolitischen Aspekte an, die mit der Verwendung von Kokosfett einhergehen. Mit der Conclusio: Für die Speiseeisproduzenten sei ökologische wie soziale Nachhaltigkeit weiterhin „kein Thema“. Diese Kritik ist nicht unbegründet. Denn um den Kokospalm-Plantagen Platz zu machen, werden vielfach Wälder gerodet. Und wenn der Trend weg vom Palm- hin zum Kokosöl anhält, dann in beachtlichem Maße. Denn der Ertrag pro Hektar ist bei der Kokospalme im Vergleich zur Ölpalme beträchtlich geringer – 0,7 Tonnen Öl pro Hektar stehen 3,8 Tonnen gegenüber. Die für den Import notwendigen Transportwege miteinkalkuliert, ergibt das einen beachtlichen CO2-Rucksack. Mindestens genauso schwer wiegt aber die ethische Last. Denn mit der Kokosölproduktion sind schlechte Arbeitsbedingungen, Niedriglöhne und Kinderarbeit verbunden. Im Hauptproduktionsland, den Philippinen gelten 60 Prozent der Kokos-Kleinbauern als arm oder leben unter der Armutsgrenze.

Fakten zum Eiskonsum
■ Top-3-Eissorten: Stracciatella, Vanille, und Haselnuss.
■ Eiskugeln: zwei ist die goldene Zahl
■ Tüte oder Becher: das Stanitzel ist doppelt so beliebt wie der Pappbecher

Auch abseits der Kokosfett-Problematik sieht der OÖ Bauernbund Verbesserungsbedarf bei der industriellen Speiseeisherstellung. Das betrifft vor allem die Herstellerangaben. Zwar sind alle Zutaten präzise auf den Produkten angegeben, über die Mengenanteile, beispielsweise der in den meisten Fällen weiterhin neben den Pflanzenfetten verarbeiteten Milch(produkte), lässt sich nur spekulieren. Gleiches gilt für deren Herkunft. „Die Vermutung liegt nahe, dass es keine österreichische Milch ist“, so OÖ Bauernbund-Direktor Wolfgang Wallner, „sonst würde es der Hersteller wohl angeben und damit Werbung machen.“ 

Nachvollziehbar und überschaubar stellt sich dagegen die Zutatenliste beim Bauernhof-Eis dar (siehe Vergleich). Ein Umstand, den auch Ernährungswissenschafterin Katrin Fischer lobend hervorhebt: „Glucose-Fructose Sirup, künstliche Aromen, Farbstoffe und Konservierungsmittel werden in den meisten industriell hergestellten Eissorten verwendet. Viele bäuerliche Eisproduzenten verzichten dagegen auf diese Zutaten.“ Zudem wisse man beim Eis vom Direktvermarkter, woher die Milch kommt. Ganz anders beim Milchpulver in der industriellen Fertigung. „Da bleiben Produktionsweise und Herkunft oft anonym“, so Fischer. Bewusstes Schlemmen ist daher die Empfehlung der Ernährungsexpertin, wenn es um süßes Geforenes geht: „Beim Eis geht es darum zu genießen.“ Diese Belohnung könne man sich auch ruhig ohne schlechtes Gewissen gönnen. 

Was ist drin?

In nachfolgender Übersicht werden in verschiedenen österreichischen Lebensmitteleinzelhandelshäusern erhältliche Eis-Haushaltspackungen einander gegenübergestellt. Darunter sind sowohl Eigenmarken wie auch Markenerzeugnisse zu finden. Auch ein Bauernhof-Eis wurde in den Vergleich miteinbezogen. Damit das Ergebnis stichhaltig ist, wurde jeweils ein sortenreines Vanille-Eis-Produkt herangezogen. Verglichen werden die Inhaltsstoffe, insbesondere ob Milch- und/oder Pflanzenfett verarbeitet wurden. 

Darüber hinaus wird auch das Verhältnis von Gewicht zu Volumen genauer beleuchtet. Für Letzteres gilt ein Punkteschema von 0 bis 5, wobei 5 die Bestnote darstellt.

Kurzweiliger Genuss, lange Erfolgsgeschichte 

Die Schwäche für süßes Gefrorenes begleitet die Menschheit schon seit etwa 5000 Jahren. Zu dieser Zeit wurde in China das erste Eis aus gefrorenem Wasser, Honig, zerkleinerten Früchten und Gewürzen hergestellt. Auch die reichen Römer konnten nicht genug von der kühlen Erfrischung bekommen. Geschichtsschreiber berichten über römische Kaiser, die sich von Sklaven Gletschereis aus den Alpen bringen ließen. Mit dem Untergang der Hochkultur ging vorerst auch die Eiskunst verloren. Doch nur bis Marco Polo im 13. Jahrhundert wieder das Wissen aus Asien nach Venedig brachte. Von dort breitete sich das Eis-Fieber in ganz Europa aus und ließ es nicht mehr los. Die industrielle Revolution brachte schließlich die erste Eisfabrik und die Möglichkeit Eis in großen Mengen zu produzieren und gekühlt aufzubewahren.

Bildquellen

  • Eis Geschichte: AdobeStock - Masson
  • Eis: AdobeStock Mara Zemgaliete, emuck