Genau geschaut

Tierwohl als Ladenhüter

GENAU GESCHAUT. Handel, NGOs und Konsumenten fordern höhere Tierhaltungs- und Produktionsstandards. Aufgrund steigender Lebenshaltungskosten ändert sich jedoch aktuell das Konsumverhalten in Richtung günstigere Lebensmittel.

Das Motto „Erzeugt wird das, was gekauft wird“ gilt nicht nur für Unternehmer, sondern auch für die landwirtschaftlichen Betriebe. Die Forderungen nach immer höheren Tierhaltungs-, Umwelt- und generell Produktionsstandards stehen jedoch zusehends im Widerspruch mit dem Einkaufsverhalten der Österreicher. 

Laut einer Umfrage der Agrarmarkt Austria (AMA) achten 90 Prozent (%) der Befragten aktuell bei Produkten des täglichen Bedarfs etwas bzw. viel  stärker auf den Preis und Aktionen. Lediglich für die restlichen zehn Prozent der Umfrageteilnehmer habe die Inflation derzeit keinen Einfluss auf das Einkaufsverhalten. Und das obwohl die vollständige Preisweitergabe bei Lebensmitteln laut Experten erst im Herbst erwartet werde. 

Konsumenten greifen vermehrt zu importierten Billigprodukten

Die Realität zeigt, dass Konsumenten aktuell vermehrt zu „Billigprodukten“ greifen, welche häufig aus dem Ausland stammen. „Nicht nur die Bauern, sondern auch der Handel bleibt zusehends auf den höherpreisigen heimischen Lebensmitteln, wie beispielsweise Freilandeier oder Bio-Fleisch, sitzen und macht dadurch Verluste. Der große Vorteil des Handels im Gegensatz zu den landwirtschaftlichen Betrieben ist allerdings, dass dieser rasch auf sich verändernde Bedingungen reagieren kann und weniger Nahrungsmittel mit höheren Standards einkauft oder diese teilweise sogar auslistet. Den bäuerlichen Familienbetrieben sind aber die Hände gebunden. Sie haben viel Geld in neue Tierwohlställe investiert und können sich eine Produktionsumstellung alle paar Jahre schlichtweg nicht leisten“, betont der oberösterreichische Bauernbund-Direktor Wolfgang Wallner. Für ihn ist daher klar: Nur das Bekenntnis der Konsumenten zu heimischen Lebensmitteln, welche unter höheren Auflagen hergestellt wurden, sei zu wenig. 

Hohe Standards: Österreich ist bereits globaler Vorreiter

Bäuerinnen und Bauern investieren hohe Summen bei Um- und Neubauten von Stallungen für höhere Produktions- und Tierhaltungsstandards. Und das obwohl Österreichs Landwirtschaft in Sachen Tierwohl- und Lebensmittelstandards ohnehin bereits als globaler Vorreiter gilt. Nicht umsonst wurde die heimische Landwirtschaft von der Tierschutzorganisation „World Animal Protection“ im Ranking von 50 Staaten weltweit auf Platz eins eingestuft. „In unsicheren und wirtschaftlich schwierigen Zeiten brauchen die Betriebe Planungssicherheit und Stabilität. Daher ist es wichtig, dass es für Lebensmittel aus besonders tierfreundlicher Haltung auch einen Absatz gibt. Forderungen alleine reichen hier nicht aus. Am Ende des Tages muss das Fleisch oder die Milch aus dem Tierwohlstall auch gekauft werden“, erklärt Bauernbund-Landesobfrau und Agrarlandesrätin Michaela Langer-Weninger.

„Wer Tierwohl fordert, muss auch die Milch oder das Fleisch aus dem Tierwohl-Stall ins Einkaufswagerl legen.“

Michaela Langer-Weninger, Agrarlandesrätin und Bauernbund-Landesobfrau

Absatz bei heimischen Lebensmitteln geht zurück

Täglich vernimmt man aus den Medien Meldungen über die enormen Preissteigerungen bei Lebensmitteln, und dass diese kaum mehr leistbar wären. Parallel dazu liest man, wie Flugreisen und generell der Tourismus nach der coronabedingten Pause wieder zu boomen begonnen haben. Und dann gab es heuer im Sommer auch Berichte über nicht verkauftes Obst und Gemüse aus heimischem Anbau. So seien Medienberichten zufolge heuer in Oberösterreich 40 % der für den Handel bestimmten Erdbeeren liegen geblieben. Zudem hätten um ein Viertel mehr Salat, Kohlrabi oder Frühkartoffeln verkauft werden können. Auch bei Fleisch meldeten die Supermärkte 20 % weniger Umsatz. Zusätzlich zum Rückgang des Konsums seien auch die Ansprüche an die Qualitätsstandards gesunken. Das Erreichen bzw. die Umsetzung neuer Tierwohl-Ziele drohe damit in weite Ferne zu rücken. „Diese Beispiele zeigen, dass der Absatz bei einigen heimischen Lebensmitteln schwindet. Ich appelliere deshalb an die Konsumenten österreichische Qualität zu kaufen und der ‚Geiz ist geil‘-Mentalität eine Absage zu erteilen, um so das Fortbestehen der bäuerlichen Landwirtschaft in Österreich zu ermöglichen. Dadurch kann auch langfristig die Versorgungssicherheit im Land gewährleistet werden. Jeder zugesperrte Bauernhof ist einer zu viel. Es muss daher alles unternommen werden, damit möglichst viele Familienbetriebe in der Produktion gehalten werden“, richtet Bauernbund-Direktor Wallner seinen Appell an die Konsumenten.

Produktionsrückgang durch Green Deal der EU befürchtet

Angesichts der hauptsächlich in Europa stattfindenden Diskussion um Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung und Klimaschutz sei es scheinbar Mode geworden, dass sich immer mehr Lebensmittelketten und Unternehmen als nachhaltig und CO2-neutral arbeitend präsentieren. Von den Un­ternehmen beschäftigte „Nachhaltigkeitsexperten“ verkünden populistische Forderungen, welche aus ökonomischen Gründen unter den derzeit herrschenden Bedingungen kaum umgesetzt werden können. „Schmucke Umbauten von bestehenden Supermärkten oder neu am Ortsrand aus dem Boden gestampfte Geschäfte – da passt etwas nicht zusammen, das ist auch sicher nicht CO2-neutral und schon gar nicht nachhaltig“, betont der Bauernbund-Direktor und fordert den Handel auf, den Bäuerinnen und Bauern faire Preise zu bezahlen. Außerdem müsse das landwirtschaftliche Einkommen wieder vermehrt durch den Produkterlös erwirtschaftet und nicht durch öffentliche Gelder generiert werden.

Kritik äußert die bäuerliche Interessensvertretung in diesem Zusammenhang auch am „Green Deal“ bzw. die von der EU-Kommission angedachte „Farm-to-Fork-Strategie“. Diese würde in der aktuell vorliegenden Form die europäische Landwirtschaft sowie die Ernährungssouveränität gefährden, da die darin enthaltenen hohen Auflagen zur Produktionsverlagerung in EU-Drittstaaten und zum Import von Lebensmitteln mit meist deutlich geringeren Auflagen führen würden.

In einer eigenen Machbarkeitsstudie hat die EU-Kommission veröffentlicht, dass die Umsetzung der Farm-to-Fork-Strategie durch die Reduzierung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln einen Produktionsrückgang von 15 % zur Folge hätte. „Unsere bäuerlichen Familienbetriebe erzeugen Qualitäts-Lebensmittel nach höchsten Standards. Die laufende Kritik an der landwirtschaftlichen Arbeitsweise und die schwelgende Unsicherheit hinsichtlich der Produktionsvorgaben führen bei vielen Bauern zu Existenzängsten und dem Gefühl mangelnder Wertschätzung gegenüber ihrem Berufsstand. Das ist aber nicht zielführend. Wir brauchen unsere Bäuerinnen und Bauern. Sie sichern die Grundversorgung mit Lebensmitteln. Oder salopp ausgedrückt: Sie bringen das Essen auf den Tisch“, betont Langer-Weninger.

Bildquellen

  • Schwein: LustaufsLand/Mursch-Edlmayr